Newsletter Öffentliches Beschaffungswesen 2/2025 vom Oktober 2025
Vorlage für Marktanalysen vor freihändigen Vergaben wegen Abhängigkeiten
Das öffentliche Beschaffungsrecht erlaubt überschwellige freihändige Vergaben, wenn es keine angemessene Alternative zur gewählten Lösung gibt (Art. 21 Abs. 2 Bst. c IVöB). Das Bundesgericht hat Ende 2023 entschieden, dass Auftraggeber mit einer Marktanalyse beweisen können müssen, dass diese Voraussetzung erfüllt ist (BGE 150 II 105, vgl. Newsletter 1/2024).
Der Kanton Bern stellt den Auftraggebern nun eine Vorlage und Anleitung für solche Marktanalysen zur Verfügung. Sie zeigt verschiedene Methoden auf, mit denen die Marktanalyse erfolgen kann. Es ist Sache des Auftraggebers, die geeignete Methode oder mehrere geeignete Methoden auszuwählen, mit denen er sich – und im Beschwerdefall einem Gericht – die Überzeugung verschaffen kann, dass für die beabsichtigte Vergabe keine angemessene Alternative vorhanden ist. Mit punktuellen Anpassungen lässt sich die Vorlage auch für Marktanalysen verwenden, die der Vorbereitung einer wettbewerblichen Beschaffung dienen.
Die Vorlage gliedert die Marktanalyse in vier Schritte: Im ersten Schritt stellt der Auftraggeber eine abschliessende Liste von Anforderungen an die zu beschaffende Leistung auf. Im zweiten Schritt identifiziert er potenzielle Anbieter bzw. Produkte, welche die Anforderungen erfüllen können. Im dritten Schritt prüft der Auftraggeber, welche dieser Anbieter bzw. Produkte den Anforderungen genügen. Und im vierten Schritt legt der Auftraggeber das weitere Vorgehen fest: Wenn nur ein Anbieter in Frage kommt, kann er den Zuschlag im freihändigen Verfahren erhalten. Kommen mehrere Anbieter in Frage, ist eine wettbewerbliche Beschaffung durchzuführen (Einladungs-, offenes oder selektives Verfahren je nach Auftragswert).
Zu früh abgeschlossene Verträge können eine Kündigung nach sich ziehen
Nach dem Zuschlag darf ein öffentlicher Auftraggeber den Vertrag mit dem Zuschlagsempfänger erst nach Ablauf der Beschwerdefrist abschliessen (Art. 42 Abs. 1 BöB/IVöB, sog. «Standstill»). Was nicht im Gesetz bzw. in der IVöB steht: Abzuwarten ist nicht nur die Beschwerdefrist, sondern auch eine zusätzliche «Stillhaltefrist», bis klar ist, ob bis am letzten Tag der Beschwerdefrist eine Beschwerde eingereicht und einige Tage später bei der Beschwerdeinstanz eingegangen ist, und ob sie ein allfälliges Gesuch um aufschiebende Wirkung gutheisst.
Dies unterstreicht das Bundesgericht im Urteil 2D_14/2024 vom 19. Mai 2025 (zur Publikation vorgesehen). In diesem Fall hatte der Auftraggeber den Vertrag am Tag nach dem Ablauf der Beschwerdefrist abgeschlossen. Damit handelte er zu früh: Laut dem Bundesgericht hätte er, wie in den Materialien zum neuen Recht und in der Literatur verlangt, in der Regel fünf Tage lang warten müssen – erst recht, wenn er davon ausgehen muss, dass eine Beschwerde sehr wahrscheinlich ist (E. 5.3.1).
Und das Bundesgericht geht noch weiter. Aufgrund von Art. 58 Abs. 2 BöB/IVöB könnte man meinen, dass in einem Fall wie diesem, in dem der Vertrag zu früh abgeschlossen wurde, die Beschwerdeinstanz nur noch die Rechtswidrigkeit des Zuschlags bzw. Vertragsschlusses feststellen kann. Dem ist nicht so, sagt das Bundesgericht, und verwirft die entsprechende Auffassung des kantonalen Verwaltungsgerichts als willkürlich (E. 5.4.5).
Anstelle der blossen Feststellung der Rechtswidrigkeit muss die Beschwerdeinstanz das Vergaberecht nach Möglichkeit durchsetzen. Zwar kann sie den verfrüht abgeschlossenen Vertrag in der Regel nicht als nichtig erklären, ausser eventuell bei strafrechtlich relevantem (korruptem) Verhalten (E. 6.2.2). Und sie kann den Vertrag auch nicht gerichtlich auflösen. Aber sie kann den Auftraggeber anweisen, den Vertrag «im Rahmen der bestehenden vertraglichen Möglichkeiten aufzulösen oder zu verändern, um eine (möglichst) vergaberechtskonforme Lage der Dinge herzustellen» (E. 6.3.2). Der verfrüht abgeschlossene Vertrag muss zwar in der Regel nicht rückabgewickelt werden, es ist jedoch eine Kündigung auf den nächstmöglichen Kündigungstermin zu prüfen.
Für die öffentlichen Auftraggeber heisst das: Sie müssen nicht nur die zwanzigtägige Beschwerdefrist abwarten, sondern auch eine zusätzliche fünftägige Stillhaltefrist, bevor sie den Vertrag mit dem Zuschlagsempfänger abschliessen. Andernfalls riskieren die Auftraggeber, dass der verfrüht abgeschlossene Vertrag auf den nächstmöglichen Kündigungstermin gekündigt werden muss.
Kantonsverwaltung: Neue Prozesse der Beschaffungsorganisation
Die kantonale Beschaffungskonferenz (KBK) ist das Steuerungsorgan des Beschaffungswesens der Kantonsverwaltung. Sie hat in ihren letzten Sitzungen Prozesse freigegeben, die die Beschaffungen im Kanton einheitlicher und digitaler gestalten sollen. Diese Prozesse sind als Weisungen für die Kantonsverwaltung verbindlich und sind auf der nur verwaltungsintern zugänglichen Prozesslandkarte Beschaffung verfügbar.
Die neuen Prozesse betreffen folgende Themen:
- Das Beschaffungscontrolling soll der politischen Führung einen Überblick über die Kennzahlen, die Mengengerüste und die strategische Konformität der konzernweiten Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen verschaffen. Es soll auch den Beschaffungsstellen und den Steuerungsorganen des Beschaffungswesens ermöglichen, Verbesserungspotenzial zu erkennen und zu realisieren. Das Beschaffungscontrolling wird ab 2025 schrittweise aufgebaut.
- Der Prozess «Öffentlichen Auftrag vergeben und Vertrag abschliessen» beschreibt die Vergabe eines öffentlichen Auftrags nach Massgabe des öffentlichen Beschaffungsrechts. Er beginnt mit Anforderungen an die zu beschaffende Leistung und endet mit dem Abschluss des Vertrags.
- Der Prozess «Bestellung und Rechnung abwickeln» regelt den Ablauf vom Anlegen einer Bestellung in SAP bis zur Freigabe der Rechnung in den Zahlungslauf.
Ausserdem regeln andere Prozesse die Anpassung der kantonalen Warengruppenstruktur, die Ermächtigung zur dezentralen Beschaffung und das Aktualisieren der kantonalen Vorlagen und Hilfsmittel. Weitere Prozesse, etwa zum Vertrags- und Lieferantenmanagement, sind noch in Arbeit.